Der amerikanische Onlineversandhändler Amazon versucht schon seit einigen Jahren in die Versicherungsbranche einzusteigen. Erste Versuche in den USA eine Krankenversicherung aufzubauen, scheiterten jedoch nach kurzer Zeit. Jetzt wagt Amazon den Einstieg in den Gewerbe- und Industrieversicherungsmarkt und hat dabei mehrere Projekte in verschiedenen Ländern im Programm: D&O-, Haftpflicht- und Cyberversicherungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Großbritannien sowie den Insurance Accelerator, eine Produkthaftpflichtversicherung für US-Händler, die ihre Waren über Amazon verkaufen. In der Versicherungsbranche herrscht seitdem eine spürbare Unruhe. Zu Recht?

Kurz & knapp

  • In UK startet Amazon jetzt D&O-, Haftpflicht- und Cyberversicherungen für kleinere und mittlere Unternehmen mit einer Amazon Business Prime Mitgliedschaft.
  • In den USA können Produkthaftpflichtversicherungen über den Amazon-Marketplace abgeschlossen werden.
  • Bei Erfolg der Angebote ist eine Ausweitung auf andere europäische Länder denkbar, ebenso wie Erweiterungen in andere Gewerbe- und Industrieversicherungssparten.

D&O-, Haftpflicht- und Cyberversicherungen für KMU in UK

Seit kurzem bietet Amazon in Kooperation mit dem britischen Makler Superscript D&O-, Haftpflicht- und Cyberversicherungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Großbritannien an. Voraussetzung ist eine Amazon Business Prime Mitgliedschaft. Über das damit verknüpfte Kundenkonto können die Versicherungen in wenigen Minuten über das Portal des Maklers abgeschlossen werden. Während der Einführungsphase gewährt Amazon den Unternehmen einen Rabatt von 20 Prozent auf alle abgeschlossenen Versicherungen. Zudem ist die Police monatlich kündbar.

Es gilt als wahrscheinlich, dass das Angebot bei entsprechendem Erfolg in UK mittelfristig auch auf andere europäische Länder ausgeweitet wird. Das könnte vor allem für digitale Gewerbeversicherer, die in den letzten Jahren in Deutschland entstanden sind, negative Auswirkungen haben. Deutsche sowie andere europäische Versicherer sollten den Einstieg von Amazon in die Versicherungsbranche weiterhin verfolgen und dies eventuell zum Anlass nehmen, ihr eigenes Handeln zu hinterfragen und interne Prozesse anzupassen. Es kann aber auch als Chance für Makler oder klassische Gewerbe- und Firmenkundenversicherer verstanden werden, ihre Produkte zukünftig über den Amazon-Marktplatz anzubieten und diesen als Vertriebsplattform mit enorm hoher Reichweite und geringen Vertriebskosten zu nutzen.

Letztlich halten es Branchenvertreter für eher unwahrscheinlich, dass große Unternehmen wie Amazon sich langfristig als eigene Anbieter von Versicherungsprodukten am Markt etablieren. Auch für komplexere Versicherungsangebote, wie beispielsweise die Industrieversicherung mit einem hohen Beratungsbedarf, wird sich das Amazon-Modell aller Voraussicht nach nicht durchsetzen – dafür ist die geringe Stückzahl für einen Hyperscaler wie Amazon zu unattraktiv.

Produkthaftpflicht über den Amazon Insurance Accelerator in den USA

Auch in den USA ist Amazon kürzlich wieder in den Versicherungsmarkt eingestiegen – diesmal mit Partnern wie dem deutschen Rückversicherer Munich Re, Chubb und Hiscox sowie einem neuen Schwerpunktthema. Anders als in Großbritannien richtet sich das Angebot vor allem an professionelle Händler, die über den Amazon-Marketplace ihre Waren verkaufen. Da Klagen auf Schadensersatz in den USA eine lange Tradition haben, bietet der sogenannte Insurance Accelerator Produkthaftpflichtpolicen an, mit der sich die Verkäufer gegen Schadensersatzansprüche von Kunden absichern können.

Das Besondere dabei: Sollten nach dem Kauf Schäden oder Verletzungen auftreten, können sich Käufer bei Schäden bis zu 1.000 Dollar direkt an Amazon wenden – also nicht an den Marktplatz-Händler. Amazon verspricht hier eine schnelle zentrale Schadenabwicklung, ähnlich dem heutigen sehr komfortablen Warenrückgabeprozess. Damit dieser Service greift, verpflichtet Amazon seine Verkäufer allerdings zu einer Haftpflichtversicherung, die über eine Deckungssumme von mindestens einer Million Dollar verfügt, bei nicht mehr als 10.000 Dollar Selbstbehalt. Zudem ist vertraglich festgeschrieben, dass die Schadenbearbeitung innerhalb von 30 Tagen erfolgen muss.

Mit dem Insurance Accelerator hat der amerikanische Onlinehändler eine Position geschaffen, die vor allem die Gewerbeversicherungsmakler angreift. An der Stelle, an der in der Regel der Makler zwischen Kunden und Versicherern vermittelt hat, tritt nun das Amazon-Angebot. Aber auch in das Geschäftsmodell der Versicherer greift Amazon mit der neuen Schadenabwicklung ein und kann so neue Standards setzen.

Mit dem Know-how-Aufbau im Produkthaftpflichtbereich testet der Konzern nach Abgaben von Branchenexperten die Gegebenheiten am Markt, um mittel- und langfristig das Angebot auch auf andere Ländern auszuweiten. Denkbar sind auch Erweiterungen in andere Gewerbe- und Industrieversicherungssparten wie zum Beispiel Garantieverlängerung, Zahlungsausfall oder auch Transport.

Bildquelle: PixieMe