Der elektronische Handel im B2B-Sektor hinkt den heutigen Erwartungen der Nutzer in weiten Teilen hinterher. Doch der Innovationsdruck steigt. In einer zunehmend digitalisierten Welt ist es für Unternehmen überlebenswichtig, ihre Geschäftsabwicklung so einfach wie möglich online zu gestalten.

„Willkommen im letzten Jahrhundert.“ So oder ähnlich könnte der elektronische Handel im B2B-Sektor treffend seine Nutzer begrüßen. Denn viele Mitarbeiter begeben sich in ihren Unternehmen beim Ein- und Verkauf regelrecht auf eine Zeitreise. Sie treffen auf umständliche Abläufe und graue Listen. Sie suchen vergeblich nach korrekten Angaben zur Verfügbarkeit der Produkte. Sie arrangieren sich mit völlig abstrusen Einschränkungen wie „Lege nicht mehr als 100 Produkte in den Warenkorb“ – wohlwissend, dass das System sonst abschmiert.

Der Generationenwechsel auf Personalebene ist bereits da. Bei den Systemen für den geschäftlichen Onlinehandel steht die Modernisierung noch aus.

Für viele Jahre konnte man mit solchen Defiziten leben. Mit den Digital Natives tritt jetzt aber eine neue Generation in die Einkaufsorganisationen ein. Eine Generation, die privat bei Amazon und Co einkauft, ihre Dates durchs Swipen selektiert, Serien streamt und bewegende Momente twittert und bei Instagram postet.  Der Generationenwechsel auf Personalebene ist bereits da. Bei den Systemen für den geschäftlichen Onlinehandel steht die Modernisierung in vielen Fällen noch aus.

Benutzererlebnis nach heutigen Standards gestalten

Auf den ersten Blick zeigt sich der Rückstand im B2B-E-Commerce gegenüber modernen B2C-Shops am deutlichsten in den altbackenen Oberflächen. Die grafische Usability und das Look & Feel sind nicht mehr zeitgemäß. Dabei ist die heutige Erwartungshaltung klar: Das Benutzererlebnis sollte vergleichbar sein mit dem von Amazon, Apple und Otto. Dazu gehören informative und attraktive Produktpräsentationen sowie eine intuitive Benutzerführung. Hier besteht großer Renovierungsbedarf bei den in die Jahre gekommenen E-Procurement-Systemen und Lieferantenportalen.

Moderne Shop-Oberflächen punkten vor allem dann, wenn sich die Einkäufer einen Überblick über das Sortiment des Lieferanten verschaffen wollen. Hierbei sollten auch komfortable Suchfunktionen und ein kundenfreundlicher Checkout  – wie es die Nutzer aus dem B2C-Kontext gewöhnt sind – nicht fehlen. Gleichzeitig dürfen B2B-Shops die klassischen Funktionalitäten für professionelle Einkäufer nicht außer Acht lassen. Der Shop muss es ihnen beispielsweise ermöglichen, Kostenstellen anzugeben, Bestelllisten hochzuladen und individuell definierte Freigabe- und Genehmigungsprozesse zu durchlaufen. Auch die artikelnummernbasierte Schnell-Bestellung darf nicht fehlen.

Probleme hinter den Fassaden im Backend

Momentan kranken viele bestehende Shoplösungen an funktionalen Einschränkungen, die auch das Benutzererlebnis beeinträchtigen bzw. ihre Nutzer in die 1990er Jahre zurückversetzen. So kommt es beispielsweise vor, dass die Kunden nach dem Einloggen nur die Listenpreise sehen. Die individuell ausgehandelten Vertragspreise sind erst während des Checkout-Prozesses verfügbar. Ganz ähnlich steht es um die Verfügbarkeit der georderten Waren. Auch die Einschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Produkten im Warenkorb ist keine Seltenheit.

Veraltete ERP-Systeme im Backend sind nicht darauf ausgelegt, hochfrequente Echtzeitanfragen zu verarbeiten.

Grund dafür sind häufig veraltete ERP-Systeme im Backend. Sie sind von ihrer Architektur her nicht darauf ausgelegt, hochfrequente Echtzeitanfragen zu verarbeiten. Das folgende Beispiel verdeutlicht das Problem: Angenommen, ein Nutzer sucht nach einer speziellen Art von Schrauben. Wenn die Ergebnisliste 40 verschiedene Schraubenvarianten enthält, dann muss vierzigmal der spezifische Preis für die Produkte aus dem ERP-System gezogen werden – bei Staffelpreisen oder anderen Rabattierungen können das auch mehrere Anfragen pro Produkt sein. Eine in die Jahre gekommen Instanz von SAP R/3 auf Oracle wird dabei schlichtweg in die Knie gehen.

Wie komfortabel ein B2B-Shop sein kann, hängt also zu einem bedeutenden Teil von den Systemen im Backend ab. Bei Erneuerungsprojekten sollte das unbedingt berücksichtigt werden – hier muss ggfs. ein den Prozessanforderungen genügendes Integrationskonzept entworfen werden, das die architektonischen Schwachpunkte der Warenwirtschaft ausgleicht und dem Käufer personalisierte und korrekte Informationen liefert. Im Fall von SAP R/3 hilft auch eine Migration auf die HANA Datenbank: dadurch nimmt die Echtzeitfähigkeit schon um etliche Faktoren zu. Später folgt dann die Migration auf S/4HANA, die aktuelle Version, die tatsächlich echtzeitfähig ist.

Technische und fachliche Integration berücksichtigen

Neben Unternehmen, die veraltete Systeme einsetzen, gibt es – gerade im Mittelstand – viele Unternehmen, für die der Onlinehandel komplettes Neuland ist. Hier werden Bestellungen noch telefonisch oder schriftlich per Fax oder Bestellkarte getätigt[1]. Die Einführung von B2B-Shops in diesem Szenario hat den Vorteil, dass kein Ballast von Vorgängersystemen im Wege steht. Gerade von mittelständischen Betrieben wird die Komplexität der Einführung aber häufig unterschätzt.

B2B-Shop, ERP, CRM, PIM: Der Datenfluss zwischen den verschiedenen Systemen muss gut geplant sein – aus technischer und aus fachlicher Sicht.

B2B-Shops sind Systeme mit hohem Integrationsbedarf. Betrachtet man die IT-Landschaft eines Mittelständlers, trifft man typischerweise auf folgende Systeme: ERP/Warenwirtschaft, CRM und eventuell ein PIM. Tritt nun eine B2B-Plattform mit Shop-Komponente und Service-Funktionalitäten hinzu, stellen sich eine Reihe von Fragen wie: Wenn eine Preisanfrage über den Onlineshop reinkommt, wird sie im ERP bearbeitet? Oder im CRM? Was passiert, wenn der Kunde aus der Anfrage eine Bestellung macht? Wie funktioniert die Rückmeldung an den Onlineshop? Bereits anhand dieser recht trivialen Fragen lässt sich erahnen, dass der Datenfluss zwischen den verschiedenen Systemen gut geplant sein muss – sowohl aus technischer als auch aus fachlicher Sicht.

Wichtig für die Evaluierung der B2B-Lösung ist es, Prozesse prototypenhaft ohne vollständige Integration auszuprobieren.

B2B-Lösungen schaffen die Gelegenheit, viele (vor allem kostenerzeugende) Interaktionen mit Geschäftspartnern online zu bringen. Dabei ist aber der Anspruch, jeden einzelnen Prozess vollständig integriert zu automatisieren, nicht zielführend. Schnell stellt man fest, dass Kosten und in Einzelfällen erzielter Nutzen in einem ungünstigen Verhältnis zueinander stehen. Dementsprechend ist es angebracht – und auf diese Möglichkeit sollte man bei der Evaluierung der B2B-Lösung bzw. –Architektur achten – flexibel Prozesse prototypenhaft ohne vollständige Integration ausprobieren zu können. Im Folgenden ein Beispiel: erst wenn nach Go-Live des Prototypen für die Online-Garantiemeldung erkennbar ist, dass der Dienst von ausreichend vielen Nutzern angenommen wird, lohnt sich die vollständige Automatisierung. Wenn nach zwei Monaten 80 Prozent der Kunden den Dienst akzeptieren, sollte die Integration mit ERP und Co starten. Wenn es nur 5 Prozent sind, könnte der Dienst wieder abgeschaltet oder verändert werden.

In der ersten Phase ist es ausreichend, dem Nutzer die Meldung eines Garantiefalls im B2B-Portal anzubieten und eintreffende Meldungen manuell ins Zielsystem zu übertragen – wie es bereits heute mit den per Fax oder Telefon eintreffenden Meldungen erfolgt. In der zweiten Phase lässt sich der Prozess dann automatisieren – und dabei können mit Hilfe moderner Technologien Prozess-Optimierungen erzielt werden: mittels künstlicher Intelligenz bzw. Machine Learning lassen sich gerade Garantiemeldungen beispielsweise in geradlinig durchlaufende bzw. vom Sachbearbeiter zu überprüfende Fälle einteilen.

Engere Vernetzung mit Kunden ermöglichen

Die eigentliche Innovationskraft moderner B2B-Shops liegt in der engeren, mit digitalen Prozessen unterlegten, Vernetzung mit den Kunden.

Die Motivation eines Unternehmens für die Einrichtung oder Modernisierung eines B2B-Shops ist sicherlich nicht nur die verkaufssteigernde Wirkung. Natürlich kann das Angebot den Kunden proaktiver nahegebracht werden. Cross-Sales und Up-Sales sind in vielen Bereichen zu erwarten – trotz des Spannungsfelds zwischen rationalen Einkäufern und emotional ansprechbaren Endnutzern. Außerdem fördert ein Onlinekatalog das Google-Ranking und erhöht damit Sichtbarkeit des Unternehmens und die Neukundenakquise. Die eigentliche Innovationskraft moderner B2B-Shops liegt aber in der engeren, mit digitalen Prozessen unterlegten, Vernetzung mit den Kunden.

Ein Treiber dieser Entwicklung ist die Verbreitung mobiler Endgeräte. Früher tauchte die Vertriebsmannschaft mit Stift und Notizblock beim Kunden auf. Heute ist sie mit dem Tablet unterwegs. Die Kunden erwarten, dass alle Bestellungen direkt digital erfasst werden, die Daten in ihrem Account landen, in der Bestellhistorie sichtbar sind und die Sendung online nachverfolgt werden kann. Ähnlich sieht es bei Nachbestellungen von Verbrauchsmaterialien und defekten Bauteilen aus. Es ist keine Zukunftsmusik mehr, dass beispielsweise Wartungstechniker mit der Kamera ihres Smartphones eine defekte Komponente erfassen und damit einen Bestellvorgang auslösen.

Der beste Service setzt sich durch

Noch weiter getrieben wird diese Revolution der Interaktion mit Geschäftspartnern, egal ob Kunden oder Lieferanten, durch das aufstrebende „Internet der Dinge“ mit seinen weitreichenden Möglichkeiten zur Vernetzung und Prozessautomatisierung. Nahezu jedes Objekt kann heute mit vertretbarem Aufwand mit Sensoren und eingebetteten Computern ausgestattet werden. So können Bestellungen oder Aufträge für Wartungsarbeiten automatisch getriggert werden, wenn Sensorwerte bestimmte Schwellen über- oder unterschreiten.

Der Anbieter mit dem besten Mix aus Produktqualität, Preis und Service wird das Rennen machen.

Das Ergebnis dieser Entwicklung können nicht nur neue Abomodelle für alle nur denkbaren Ressourcen sein. Es ist ein zentraler Ausgangspunkt des Wandels von einem produktzentrierten Verkauf zu einer serviceorientierten Ökonomie – man denke an Amazon’s „Customer First“. Der Anbieter mit dem besten Mix aus Produktqualität, Preis und Service wird das Rennen machen und in der Lage sein, langfristige Beziehungen mit Kunden aufzubauen und zu erhalten. Dabei wird der Service ein differenzierendes Merkmal sein: der Anbieter einer Maschine, die in Echtzeit Status-, Fehler- und Bedarfsmeldungen liefert, die nahtlos in die Prozesslandschaft des Betreibers integriert werden können und beispielsweise dafür sorgen, dass beim Erreichen bestimmter Verschleisswerte der Service-Techniker des Herstellers informiert wird, wird langfristig erfolgreicher sein als der Hersteller, dessen Maschine unangekündigt ausfällt und aufgrund ausgebuchter Service-Techniker mehrere Tage stehen bleibt. Es ist klar, dass sich der Betreiber für erstere Maschine mit den Mehrwert-Diensten entscheidet.

Aktuell sind automatisierte Ein- und Verkaufsprozesse durch vernetzte Geräte noch ein großes Experimentierfeld. Doch schon heute ist absehbar, dass es im Zuge der digitalen Transformation zu einer Konsolidierung auf dem Markt kommen wird. Wer mit den besten Services schnell und gut online ist, wird sich durchsetzen. Für das Gros der Unternehmen geht es zum jetzigen Zeitpunkt darum, Aufbauarbeit zu leisten, alte Systeme zu modernisieren und neue Möglichkeiten im B2B E-Commerce auszuloten. Moderne B2B-Shops mit umfangreichen Servicefunktionalitäten sind unverzichtbar, um in einer digitalisierten Welt anschlussfähig zu bleiben.

 

[1] Bei der Studie Online-Kaufverhalten im B2B-E-Commerce 2017 haben 45% der Teilnehmer angegeben, dass sie regelmäßig mit schriftlichen Bestellungen für ihr Unternehmen einkaufen. 47% nutzen immerhin bereits auch Online-Kanäle von Geschäftspartnern, 30% setzen regelmäßig auf die telefonische Bestellung.

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