Thorsten Gall, früher inngoy SE heute E.ON über Kulturwandel, New Work, Führungskraft in Zeiten der Digitalen Transformation in der Energiewirtschaft

Die Digitalisierung in den Unternehmen des Energiesektors wie Stadtwerken, Energieversorgern und Netzbetreiber nicht nur durch digitale Technologien zu verankern, sondern auch in die Organisation zu tragen, wird für Führungskräfte eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre. Doch wie kann so ein fundamentaler Wandel organisatorisch verankert werden? Ein grundlegend neues Verständnis von Führungskultur und der Beziehungskultur der Organisationsmitglieder ist erforderlich, um den Boden für eine erfolgreiche Digitalisierung in Energiewirtschaftsunternehmen zu bereiten. Ein gelebter Kulturwandel ist das wichtigste Fundament, um MitarbeiterInnen vorzubereiten und auf den gemeinsamen Weg mitzunehmen.

In einer qualitativen Umfrage unter Führungskräften im IT-Umfeld mittelständischer und großer Energieversorger, Netzbetreiber und Stadtwerke wurde untersucht, worin die Befragten die konkreten Herausforderungen der Digitale Transformation für Unternehmen der Energiewirtschaft sehen. Pascale Ullmann spricht mit Thorsten Gall, Head of New Way of Working und IT Transition, ehemals bei innogy SE, jetzt E.ON, über die geänderte Rolle von Führungskräften, einem neuen Führungsverständnis und digitaler Führung in der Praxis.

 

 

Pascale Ullmann: Was ist ihr Aufgabengebiet bei innogy SE und welche Funktion haben Sie dort?

Thorsten Gall: Ich habe nach meinem Studium einen Karrierepfad in der Informationsverarbeitung eingeschlagen und war seitdem immer in diesem Bereich unterwegs. Ich habe mit meinen Teams Konzerntemplates aufgebaut und diese dann international ausgerollt. Dies habe ich den Hauptteil meines Werdegangs gemacht. In den letzten vier Jahren war ich verantwortlich für die Einführung von „New Work“. Ich habe für fünfhundert Mitarbeiter in der Core IT mit einem kleinen Change-Team neue Arbeitsweisen und selbstorganisierte Teams eingeführt und bestehende Hierarchien abgebaut. Das waren die Hauptthemen, die ich in den letzten vier bis fünf Jahren in meiner Position als Projektleiter vorangetrieben habe, natürlich neben meiner Verantwortung das gesamte Programm umzusetzen.

 

Pascale Ullmann:Könnten Sie nochmal näher erläutern, wie Sie den „New Way of Work“ Ansatz genau implementiert haben?

Thorsten Gall: Was wir dort verwendet haben waren Lean-Ansätze. Uns ging es darum, die Teams in sogenannten „Day Starts“ zusammenzubringen. Wir haben täglich kurze Day Starts mit dem gesamten Team inklusive der Führungskraft abgehalten. Diese Termine waren für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die Gelegenheit, offen miteinander zu sprechen und sich auszutauschen: Wo gibt es Probleme? Wo brauchen sie Hilfe? Woran arbeiten sie? Was haben sie geschafft? Im Grunde waren dies kleine Stand-Ups, in denen sich das ganze Team in Summe immer auf den aktuellen Stand gebracht und gemeinsam Probleme diskutiert hat.

Die Rolle der Führungskraft hat sich dadurch insofern verändert, dass sie bei Auftreten von Problemen auch entsprechend dafür verantwortlich war, eine Lösung herbeizuführen. Wir haben also an ganz konkreten Themen gearbeitet und End-to-End Process Management betrieben. Mit dem Team haben wir die Prozesse über die einzelnen Abteilungen hinaus betrachtet und diese verbessert. Operational Excellence war immer ein Thema. Wir haben transparent gemacht, an welchen Zielen das Team arbeitet, haben dann gemeinsam geschaut, wie eine Zielerreichung geschafft wird und Performance Dialoge geführt. Wir hatten einen Bereich Leadership und Direction, mit Ausrichtung und Führung. An dieser Stelle haben wir viel und eng mit den Führungskräften gearbeitet, um ein neues Verständnis von Führung zu implementieren.

 

Pascale Ullmann:  Welche Rolle hat die Digitalisierung dabei gespielt?

Thorsten Gall: Wir hatten zusammen mit dem IT-Bereich die Verantwortung, tatsächlich den digitalen Wandel herbeizuführen. Uns war es wichtig, dass dies keine Geschichte ist, die nur von dem IT-Bereich durchgeführt wird.  Früher war es beispielsweise der Fall, dass die IT immer auch für IT-Themen alleine verantwortlich war. Heute versuchen wir gemeinsam mit den Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen zusammenzuarbeiten.

Früher war es der Fall, dass die IT immer auch für IT-Themen alleine verantwortlich war. Heute versuchen wir gemeinsam mit den Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen zusammenzuarbeiten.

Das Ziel unseres Programms war es, interdisziplinäre Teams aufzubauen, die selbstständig verschiedene Themen bearbeiten. Kundenprobleme können dadurch direkt gelöst und müssen nicht erst über Abteilungsgrenzen hinweg weitergereicht werden. Von daher waren wir an verschiedenen Digitalisierungsthemen stark mitbeteiligt.

 

Pascale Ullmann: Welche Herausforderungen mussten Sie bei der Digitalen Transformation bewältigen?

Thorsten Gall: Für mich spielte Geschwindigkeit eine große Rolle. Letztendlich geht es darum, Probleme die auf der Kundenseite auftreten möglichst schnell zu bearbeiten und zu lösen. Das bedeutet an dieser Stelle auch ein neues Führungsverständnis. Grundsätzlich kann man als Führungskraft nicht immer dafür sorgen, dass jeder einzelne Bereich seine Probleme selbst löst und danach an andere Bereiche weitergibt. Wichtig ist, dass interdisziplinär zusammenarbeitet wird und direkt in den Teams die richtigen Fähigkeiten entwickelt werden. In Konsequenz bedeutet dies, dass auch direkt in den Teams entschieden wird, wie die Problemlösungen aussehen können.

Die Führungskraft sollte lediglich einen Rahmen und eine strategische Ausrichtung zur Orientierung der Teams vorgeben. Die Ausarbeitung der Themen sollte dann möglichst eigenverantwortlich durch die Menschen erfolgen.

Die Führungskraft sollte lediglich einen Rahmen und eine strategische Ausrichtung zur Orientierung der Teams vorgeben. Die Ausarbeitung der Themen innerhalb dieser Leitplanken sollte dann möglichst eigenverantwortlich durch die Menschen erfolgen, die auch tatsächlich direkt vor Ort mit den Problemen konfrontiert sind und alle Details kennen. Dieses neue Führungsverständnis ist für mich eine der großen Herausforderungen. Denn es ist nicht immer einfach, die Mitarbeiter, die sich mit den Themen auskennen auch für die Lösungsfindung verantwortlich zu machen. Die Führungskraft sollte daher die Mitarbeiter befähigen Entscheidungen selbstständig zu treffen, ohne dass diese von der Führungskraft abgesichert werden müssen.

 

Pascale Ullmann: Welche Kompetenzen spielen eine besondere Rolle für die Führungskraft? Gibt es Unterschiede zum früheren Führungsverständnis?

Thorsten Gall: Wenn es um die Führungskraft geht, dann sind die Themen Loslassen können und Vertrauen wichtige Kernkompetenzen. Für mich als Führungskraft bedeutet das, Kontrolle abzugeben und auf das Engagement und die Eigenverantwortung meiner Mitarbeiter zu vertrauen.

Wenn es um die Führungskraft geht, dann sind die Themen Loslassen können und Vertrauen wichtige Kernkompetenzen.

Das sind für mich die Änderungen im Führungsverhalten, die erforderlich sind. Führungskräfte sollten deshalb versuchen die Entwicklungsbedarfe der Mitarbeiter zu identifizieren und ihnen dabei helfen, deren Potenzial zu entfalten. Das ist schon ein deutlich anderes Führungsverständnis, als wir es in der Vergangenheit hatten.

 

Pascale Ullmann: Wie würden Sie das Führungsverständnis von früher beschreiben?

Thorsten Gall: Ich würde das traditionelle Führungsverständnis mit einem Command & Control Ansatz beschreiben. Die Führungskraft gibt die zu erledigenden Aufgaben vor und kontrolliert auch die Leistung der Mitarbeiter. So zeichnet sich das Führungsverständnis der Vergangenheit besonders aus. Genau das Gegenteil wollen wir aber heute erreichen. Wir wollen den Mitarbeitern Freiheiten geben, möglichst viel selbst zu organisieren und selbst vor Ort zu entscheiden.

Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehen in der Rolle der Führungskraft nicht mehr das Ideal der individuellen Weiterentwicklung. Ich habe eher festgestellt, dass die vielfältigen Themengebiete heutzutage das Interesse der Mitarbeiter wecken.

Ein weiteres Thema wäre sicherlich auch der Führungskräftenachwuchs. Dabei stellt sich die Frage einer Weiterentwicklung in eine Führungsposition. Ich habe in meinem Team festgestellt, dass die neuen Arbeitsweisen sehr positiv aufgenommen werden. Es stellte sich außerdem heraus, dass nicht viele eine Führungskräfte-Karriere anstreben. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehen in der Rolle der Führungskraft nicht mehr das Ideal der individuellen Weiterentwicklung. Ich habe eher festgestellt, dass die vielfältigen Themengebiete heutzutage das Interesse der Mitarbeiter wecken. Zudem arbeiten meine Mitarbeiter gerne in den Teamstrukturen. Vor diesem Hintergrund scheint das Thema Führung nicht mehr so erstrebenswert zu sein, wie es früher der Fall war.

 

Pascale Ullmann: Woran könnte das liegen?

Thorsten Gall: Das liegt daran, dass die Themen interessanter werden und individuelle Freiheiten in solchen Teams auch gegeben sind. Ich habe Zeiten erlebt, wo ich selbst mehr Freiheiten hatte. Dadurch wurde mir mehr Spielraum auch in Bezug auf Autonomie gegeben. Diese Arbeitsweise muss aber auch zum Charakter der Person passen. Es gab in der Vergangenheit auch Mitarbeiter, die eine detaillierte Stellenbeschreibung haben wollten, sodass sie genau wissen was sie dürfen und was nicht. Ich persönlich mag diese Art von sehr detaillierter Stellenbeschreibung nicht, weil sie wenig Freiräume gibt. Aber es zeigt sich, wie unterschiedlich die Persönlichkeiten eigentlich sind. Ein Mensch der mehr Freiraum haben möchte, möchte alles lieber selbst austesten. Wo liegen die Grenzen? Und ein Mensch, der vielleicht eine sichere Umgebung haben möchte, fragt eher nach. Und wenn es Persönlichkeiten im Team gibt, die viele Freiräume passend zu ihren individuellen Bedürfnissen vorfinden, ist eine Führungsposition nicht mehr so erstrebenswert. Die Themenvielfalt ist dabei viel reizvoller. Mitarbeiter können dadurch immer wieder neue Themen bearbeiten und sich so weiterentwickeln.

 

Pascale Ullmann: Wie würden Sie die digitale Arbeitswelt beschreiben?

Thorsten Gall: Die digitale Arbeitswelt haben wir durch Corona schön gesehen. Wir können eigentlich von jedem Ort aus arbeiten. Wir sind gar nicht mehr an die Arbeitsplätze in großen Unternehmen gebunden. Der Mitarbeiter kann sich seine Arbeitszeit und den Arbeitsort so gestalten wie es für ihn in seinen Alltag passt.

Der digitale Arbeitsplatz ermöglicht den Mitarbeitern, die Arbeit zum Beispiel komplett von zuhause aus zu machen. Ich habe die letzten vier Monate meine Arbeit komplett zu 100% von zuhause aus machen können inklusive Workshops oder Breakout-Sessions. Ich war überrascht, wie gut das tatsächlich funktioniert. Aus dieser Erkenntnis heraus erwarte ich jetzt einen gewissen Antrieb was eben diese digitale Arbeitswelt angeht.

 

Pascale Ullmann: Wie führt eine Führungskraft digital bzw. auf virtueller Distanz?

Thorsten Gall: Ich habe die letzten vier Monate damit sehr positive Erfahrungen gemacht. Vielleicht liegt es daran, dass ich digitale Tools in meinem Team schon vorher eingeführt hatte, als wir noch in der Präsenz zusammengearbeitet haben. Was mir sehr geholfen hat, war ‘Dailys’ zu integrieren, denn so fand ein regelmäßiger Austausch statt. Die Daily Meetings haben wir schon früher in unserem Open Space gemeinsam abgehalten und jetzt laufen sie eben digital. So wie wir früher zusammengekommen sind, treffen wir uns nun morgens virtuell und besprechen mit Blick auf unsere digitalen Teamboards wichtige Themen:  Welche ToDos gibt es? Welche Probleme gibt es? Wo treten Probleme auf? Aber auch über positive Ereignisse wird in diesem digitalen Kanal gesprochen.  Was sich darüber hinaus als positiv herausgestellt hat ist, dass über die virtuelle Distanz eine Nähe zum Team möglich ist. Das Format der Dailys and Weeklys war dafür sehr hilfreich.

Was sich darüber hinaus als positiv herausgestellt hat ist, dass über die virtuelle Distanz eine Nähe zum Team möglich ist. Das Format der Dailys and Weeklys war dafür sehr hilfreich.

Ich kann mir aber vorstellen, dass das nicht überall so gut funktioniert hat. Wir hatten vorher schon die Nähe im Team. Wir hatten auch vorher schon eine starke Selbstorganisation des Teams implementiert, die sich bewährt hat – auch zu Corona Zeiten, wo wir eigentlich komplett digital gearbeitet haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für Kollegen, die diese Nähe zum Team nicht haben, aus der Distanz heraus nicht leicht ist so etwas zu implementieren. Ich glaube, dass hier eine besondere Schwierigkeit liegt.

 

Pascale Ullmann: Heißt das also, dass sich die Beziehung zwischen der Führungskraft und dem Mitarbeiter nicht verändert? Wie kann man den Zusammenhalt noch garantieren, wenn die Hälfte des Teams Homeoffice nutzt und die andere Hälfte nicht?

Thorsten Gall: Ich glaube, durch die Digitalisierung und die neuen Arbeitsweisen hat sich die Beziehung stark verändert.  Ich habe eine sehr persönliche und offene Beziehung zu meinem Team. Wir steigen morgens mit einem Stimmungsbarometer ein um zu zeigen, wie es uns gerade geht. Diese waren früher in der alten Führungswelt kein Thema. Job ist Job und Privates privat und das wurde sehr stark getrennt. Wir haben uns aber zur Regel gemacht, morgens damit einzusteigen. Dadurch ist ein viel offenerer Umgang im Team möglich. Das Stimmungsbarometer und die Offenheit ermöglicht dem Team mehr Feedback zu geben. Das Feedback meiner Mitarbeiter zeigt mir, dass ein sozialer Effekt im Team besteht.  Ich glaube, diese Beziehungsarbeit ist eine Voraussetzung, damit digitales Arbeiten auch über die Entfernung gut funktionieren kann. Ich habe dabei auch gelernt, dass gutes Beziehungsmanagement der Schlüssel ist an dem wir viel mehr arbeiten müssen.

Ich kann meinem Team vertrauen und wir unterstützen uns auch gegenseitig. Resultierend daraus kann eine Führungskraft besser loslassen. Das ist die Voraussetzung für gute digitale Zusammenarbeit.

Ich kann meinem Team vertrauen und wir unterstützen uns auch gegenseitig. Resultierend daraus kann eine Führungskraft besser loslassen. Das ist die Voraussetzung für gute digitale Zusammenarbeit. Es hat sich in den letzten vier Monaten gezeigt: wenn diese Basis geschaffen ist, schafft man das auch über eine lange Phase der Distanz aufrechtzuerhalten. Wir haben unsere Abfragen und unsere KPIs, die wir regelmäßig im Team durchführen. Wir sprechen darüber, wo wir stehen und welche Maßnahmen die Bedingungen verbessern können. Wenn man all das schon implementiert hat, dann ist digitales Arbeiten auch über eine Distanz mit Nähe möglich.

Der zweite Teil der Frage war, wie man es schafft dies in eine Hybridwelt zu transferieren. Das ist wahrscheinlich oft eine Herausforderung. Ich habe eine Mitarbeiterin, die zwei kleine Jungs zuhause hat, da ist das schon schwieriger im Homeoffice zu arbeiten. Hier haben wir aber Möglichkeiten gefunden, dass diese Kollegin unser Open Space nutzen konnte, damit sie besser arbeiten konnte. Und dann haben wir unsere Meetings hybrid durchgeführt. Der Hauptteil der Mitarbeiter war tatsächlich virtuell dabei. Plus vereinzelt Menschen anwesend im Open Space. Je hybrider es wird und je größer die Gruppe dann vor Ort im Open Space wird, desto schwieriger wird es werden. Dann braucht es eine gute Moderation und hohe Bereitschaft der Teilnehmer. Eine Führungskraft muss dafür sorgen, dass alle mitgenommen werden und jeder einbezogen wird. Sind die Redeanteile ausgeglichen? Oder verlagert die Aufmerksamkeit sich zu den Mitarbeitern, die vor Ort sind?

 

Pascale Ullmann: Gab es auch Probleme aus Sicht der Mitarbeiter bei der Umstellung hin zu digitaler Arbeit?

Thorsten Gall: Also mein Team ist Veränderungen gewöhnt. Aber dennoch musste auch mein Team Change-Kurven durchleben. Durch diese Veränderungen musste auch ich meine Erfahrungen sammeln. Wenn es um Veränderung geht, muss man erstmal versuchen alle mitzunehmen. Man muss schauen wo die Mitarbeiter gerade stehen, muss sicherstellen, dass sie diese Veränderungen gut mitgehen können. Ich glaube, wir als Change Team sind dafür prädestiniert, gut mit Veränderungen umgehen zu können. Unser Vorteil ist, dass wir uns sehr gut auskennen, was digitale Möglichkeiten angeht und deshalb auch regelmäßig schauen, dass wir uns selbst weiterentwickeln. Wir haben Spaß daran neue Dinge auszuprobieren. Wir versuchen, gemeinsam neue Tools und Technologien nutzen zu können und unsere Erfahrungen weiterzugeben. Da ist eine gewisse Einstellung im Team vorhanden. Aber dennoch muss auf jeden Einzelnen geschaut werden.

 

Pascale Ullmann: Was glauben Sie wie die Rolle der Führungskraft in der Zukunft aussehen wird?

Thorsten Gall: Eine Führungskraft wird auch in Zukunft von Bedeutung sein. Die Führungskraft gibt die Gesamtausrichtung vor, welche sowohl den strategischen Kontext als auch Kontakte zu Führungsgremien bereitstellen kann. Dadurch werden den Teams oftmals Informationen zugänglich, die ohne die Führungskraft nicht vorhanden gewesen wären. Dennoch wird sich die Art und Weise des Führungsverhaltens komplett verändern.  Durch die zunehmende Komplexität werden selbstorganisierte Teams mit fachlichen Knowhow gefördert. Mitarbeiter benötigen die Führungskraft bei der Strukturierung ihres Arbeitsalltags demnach weniger. Vielmehr treten neue Führungspersönlichkeiten in den Vordergrund, die Feedback fähig sind, einen coachenden Ansatz vertreten und Entwicklungsmöglichkeiten fördern. Führungskräfte müssen demnach ihre Rolle neu überdenken.

Dennoch wird sich die Art und Weise des Führungsverhaltens komplett verändern.  Durch die zunehmende Komplexität werden selbstorganisierte Teams mit fachlichen Knowhow gefördert.

Für mich stellen sich folgende Fragen: Wie viele Führungskräfte wird man noch brauchen? Braucht man Hierarchien? Braucht man ein starkes Mittelmanagement? Ich bin mir nicht ganz so sicher, ob diese hohe Anzahl an Führungspositionen noch benötigt wird. Ich kann mir vorstellen, dass weniger Führungskräfte notwendig sind, wenn selbst organisierende Teams gut arbeiten. Aber man wird nicht komplett ohne Führungskraft auskommen können. Diese Erfahrung habe ich in meinem Team machen dürfen. Wir haben für Dinge, die zu entscheiden waren, eine Delegation gebildet. Es wurde schnell festgestellt, dass es Themen gibt, für die man zu keiner schnellen Lösung kommt. Da gibt es viele widerstreitende Interessen und widerstreitende Argumente. Am Schluss ging es nicht weiter. Und so hat das Team dann selbst entschieden, dass für manche Themen doch die Entscheidung der Führungskraft notwendig ist. Das war die Selbsterkenntnis aus meinem Team, die wir gewonnen haben.

 

Pascale Ullmann: Was wird in Zukunft wichtiger sein? Die fachliche oder die soziale Komponente?

Thorsten Gall: Ich habe meine Karriere durch ein fachliches und soziales Verständnis vorangebracht. Ich war schon damals direkt nach meinem Studium der Meinung, dass die eine Hälfte des Erfolges darauf beruht, wie man mit den Menschen umgeht und die andere, wie man sich technisch auskennt. Projekte sind dann erfolgreich, wenn Führungspersönlichkeiten mit Menschen umgehen können. Es sind verstärkt die sozialen Kompetenzen einer Führungskraft, die notwendig sind. Natürlich muss man sich auch thematisch als Führungskraft auskennen, wenn es um Entscheidungsfragen geht. Aber es wird nicht mehr dieses Detailwissen benötigt. Dafür gibt es die Fachexperten in den jeweiligen Teams. Es gibt daher eine klare Veränderung gegenüber früheren Zeiten was die sozialen Kompetenzen einer Führungskraft betrifft.

Der Energiesektor ist sehr lange Zyklen gewohnt. Es sind extrem lange Zeiträume, die geplant werden und jetzt mit agilen Konzepten konfrontiert werden.

Früher gab es eine starke Distanz zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Und das war auch einer der Gründe, weshalb wir das New Work Programm gestartet haben. Wir haben gemerkt, dass wir zu langsam sind um auf die Geschehnisse am Markt reagieren zu können. Aber wo wir richtig gut waren, ist die Kontrolle. Es galt immer einen Plan zu haben der streng zu verfolgen war. Das ist ein starkes Momentum in der Energiebranche. Der Energiesektor ist sehr lange Zyklen gewohnt, wie beispielhaft den Bau eines Kraftwerks zu planen und den Betrieb dieses Kraftwerks über viele Jahrzehnte hinweg zu führen. Es sind extrem lange Zeiträume, die geplant werden und jetzt mit agilen Konzepten konfrontiert werden. Dabei stellt sich auch die Frage, wie sich das Umfeld verändert. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren führen zu Veränderungen in der Branche, die ebenfalls ein Umdenken in der Arbeitswelt und im Führungsverständnis erfordern. Es wäre schön gewesen, wenn wir in der Vergangenheit auch schon Führungskräfte gehabt hätten, die näher am Mitarbeiter sind.

 

Pascale Ullmann: Ist die digitale Transformation mit einer Mitarbeiterführung verknüpft? Und wenn ja, warum?

Thorsten Gall: Letztlich sind es die Menschen, die Digitalisierung überhaupt ermöglichen. Die Mitarbeiter arbeiten an den Produkten und sorgen dafür, dass Kundenprobleme gelöst werden. Dabei helfen Schnelligkeit und verschiedene Kompetenzen im Team, dringende Probleme zu identifizieren und unabhängig eines Plans zu lösen. Besonders agiles Arbeiten ist von entscheidender Bedeutung für die Dynamik und Geschwindigkeit im digitalen Kontext. Deshalb brauchen wir auch eine andere Art der Führung.

 

Pascale Ullmann: Wie würden Sie die Energiewirtschaft als Branche in Bezug auf die Digitalisierung beschreiben?

Thorsten Gall: Um Digitalisierung in der Energiebranche greifen zu können, muss man die verschiedenen Bereiche betrachten. Zum Beispiel können Energielösungen für den Endkunden noch viel stärker digitalisiert werden. Unsere Tochterunternehmen beispielsweise sind sehr stark im digitalen Bereich aktiv und nutzen für die Kommunikation mit den Kunden vermehrt Chatbots statt Call Center. Es wird also im Kontext von Kundenkontakten schon sehr viel automatisiert. Die Automatisierung dieser Nische schafft Freiräume, die auch in anderen Bereichen als Vorbild dienen kann. Besonders im Kontakt zu unseren Endkunden ist noch viel zu tun. Wir sehen, dass es im Kleinen für eine bestimmte Klientel funktioniert. Was die Entwicklungsmöglichkeiten angeht ist es wichtig IT-Kenntnisse mit Business-Kenntnissen zu verbinden. Mitarbeiter, die das notwendige IT-Know-how haben, sollten dieses auch in die Fachbereiche einbringen.

Was die Entwicklungsmöglichkeiten angeht ist es wichtig IT-Kenntnisse mit Business-Kenntnissen zu verbinden. Mitarbeiter, die das notwendige IT-Know-how haben, sollten dieses auch in die Fachbereiche einbringen.

So bilden sich keine Inseln im Unternehmen, sondern es findet eine Vernetzung statt, wodurch gemeinsame Lösungen erarbeitet werden können. Digitalisierung in der Stromverteilung bedeutet schließlich digitale Steuerung – Haushalte mit eigener Stromerzeugung und gleichzeitig viele dezentrale Nutzer. Das muss natürlich alles gesteuert werden. Folglich ist das Ziel, diese Prozesse komplett zu digitalisieren. Immer mehr Wettbewerber werden diese kleinen Interaktionen in den Netzen nutzen, um daraus dann tatsächlich einen Vorteil für den Kunden zu erarbeiten. Dafür braucht es die Digitalisierung. Von daher sind wir was die Digitalisierung angeht schon mittendrin. Das Zukunftsbild ist tatsächlich eine voll digitalisierte Energiebranche.

 

Weitere Experten aus der Energiebranche im Interview:

 

 

Interview Detlev Falkner (Geschäftsführer rde) über digitale Trends und Veränderungen für Führungskräfte
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Interview Dirk Smikale (Executive HR E.ON) über New Work und Kulturwandel
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Interview Sandra Preß (Head of IT Solutions HR E.ON Digital Technology) über Digital Leadership
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Als Managementberatung für Digitalisierung arbeiten wir leidenschaftlich für viele namhafte Kunden in der Energiewirtschaft.

Wir sind Experten für Innovationsmanagement, Business Agilität und Prozessmanagement. Gemeinsam befähigen wir IT, Business und Organisation, die Chancen der digitalen Transformation umzusetzen.

Mehr zu unseren Leistungen finden Sie hier.

Ihr mgm-Ansprechpartner für die Energiewirtschaft:
Christian von Hammerstein, info@mgm-cp.com.

 

 

Pascale Ullmann

Das Interview führte Pascale Ullmann im Rahmen ihrer Masterarbeit “Leadership in the Digital Age – Challenges and opportunities for Companies in the Energy Sector” im Studiengang Wirtschaftswissenschaft der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Leibniz Universität Hannover, die sie bei mgm consulting partners geschrieben hat.

 

Photo Credits Titelbild: Sylke Gall