Und wenn die Sachbearbeiter aus den Rathäusern und Behörden ihre Verwaltungsanwendungen einfach selbst bauen würden? – Das OZG-Bürgerportal-Experiment.

Ein Interview mit Dietmar Schmidt

Toni: Vor einem Monat war ich das letzte Mal bei euch in Köln. Hinter dem Empfangstresen arbeitete jemand aus der Verwaltung an einem Bürgerportal. Portale entwickeln in der Regel Informatiker nicht Verwaltungsangestellte? Was habt ihr vor?

Dietmar: Ja, das ist in der Tat ungewöhnlich. Ich bezeichne das gerne als Test oder als Experiment, das dazu dienen soll, Grenzen in der Softwareentwicklung zu testen. Die Idee stammt übrigens nicht von mir, sondern von einem Kollegen, der im Public Sector wirklich zu Hause ist. Deshalb das Thema OZG-Bürgerportal.

„Sachbearbeiter aus der Verwaltung haben ein ausgeprägtes Gespür für gute Verwaltungssoftware.“

Das Experiment sieht so aus: Gib einem Verwaltungsmitarbeiter ohne Programmierkenntnisse die Aufgabe, Online-Dienste für ein Bürgerportal zu „programmieren“ und zwar mit allem, was dazu gehört, und schaue, wo und wann er an seine Grenzen kommt. Denn genau diese Grenzen möchte ich gerne kennen. So können wir die Schwächen unserer Low-Code-Software kennen lernen und gleichzeitig erforschen, wo die Akzeptanzgrenze bei Verwaltungsmitarbeitern sein könnte.

Toni: Klingt irgendwie gut, aber worum geht es konkret?

Dietmar: Wir arbeiten an einem Showcase, in dem bereits einige OZG-Leistungen abgebildet und drei Rollen (Bürger, Sachbearbeiter und Formularersteller) angelegt wurden. Es gibt zwei unterschiedliche UIs: „The Simple One“ für den Bürger und „The Normal One“ (lacht) für die Sachbearbeiter – mit Workflows und so. Und all das bauen wir ohne Programmierer, das ist wichtig. Bei Fragen hilft ein Business Analyst.

Toni: Nur ein Showcase?

Dietmar: In diesem Fall ja. Wir machen das, weil wir lernen wollen, und natürlich auch, weil wir es können. Wir haben die Low-Code-Tools, wir haben die Regelsprache und wir haben die Erfahrungen mit den Schnittstellen und Mappings für vorausgefüllte Anträge und natürlich die Authentifizierungsprozesse. Da war es nur logisch, das OZG-Thema mal in einem größeren Rahmen durchzuspielen. Nur so können wir ein System ernsthaft auf Herz und Nieren testen. Ich sehe das als Planspiel.

Toni: Ihr testet einfach Tools?

Dietmar: Es geht nicht nur um Technik. Es geht um Akzeptanz. Es geht darum, Software von Menschen entwickeln zu lassen, die sie später auch bedienen sollen – also Verwaltungsmitarbeiter und Sachbearbeiter, eben die Personen, die die Anträge bearbeiten und bewilligen müssen. Die OZG-Umsetzung gelingt nur, wenn neben den Bürgern auch die Sachbearbeiter in den Ländern und Kommunen die Software gerne nutzen wollen und auch können.

Und genau aus diesem Grund setzen wir aktuell Nichtexperten und Nichtinformatiker an die Rechner, um Workflows zu modellieren, um die Rolle der Bürger einzunehmen und um als Sachbearbeiter Anträge zu bearbeiten, freizugeben oder abzulehnen.

„Unsere Formularersteller haben keine Ahnung von Technik – und das muss auch so sein.“

Toni: Ist euer Fokus nicht die Steuer, warum beschäftigt ihr euch mit dem Themenkomplex OZG?

Dietmar: Wir sehen OZG nicht isoliert. Unsere IT-Systeme sind wahrscheinlich die mächtigsten und die mit den meisten Mandanten und Bürgern im Bereich der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Da macht es einfach Sinn, sich auch zu den kleinen, aber zahlreichen OZG-Leistungen Gedanken zu machen. Die können von unseren Systemen nur profitieren.

Toni: OZG lebt und leidet mit dem föderalen System. Der Bund und die Länder haben sich zum Thema Standards und Prozesse Gedanken gemacht. Wie passt das mit euren Aktivitäten zusammen? Es gibt den IT-Planungsrat, Digitallabore mit ihren Konzepten und auch FIM …

Dietmar: FIM hat tatsächlich den Anspruch eine einheitliche Basis zu schaffen. Das sollten alle Beteiligten akzeptieren. Sonst kommen wir nicht zusammen. Wir setzen FIM in der aktuellen Showcase-Phase noch nicht konsequent um, auch weil FIM noch am Anfang steht. Unser Fokus liegt wie gesagt auf der Usability und auf dem Testen der Praxistauglichkeit.

Toni: Wann plant ihr FIM umzusetzen?

Dietmar: Wir bereiten unsere Prozesse und unsere Mitarbeiter parallel auf FIM vor. Aktuell werden drei Teams (Berater/Analysten/Technik) auf FIM geschult. Dann können wir nicht nur in der Theorie, sondern auch praktisch beim Einsatz von FIM beraten. Und im nächsten Schritt verheiraten wir unsere bestehenden eGovernment-Systeme inklusive Security, Verschlüsselung, Authentifizierung und Testdatengenerator mit unserem OZG-Showcase, der dann auch FIM-konform ist. Mit der aktuellen Umsetzung von FIM durch die FITKO können wir aber ein ganzes Interview füllen.

Als Ergebnis haben wir einen Sandkasten, mit dem wir alle Wünsche simulieren können und der auch live gehen kann.

Toni: Ist so ein Aufwand gerechtfertigt?

Dietmar: Na ja, eGovernment ist unser Thema, das können wir. Der Aufwand ist für uns planbar. Und wir sehen uns natürlich auch in der Verantwortung. Wenn wir auf Länderebene oder vom Bund gebeten werden, uns mit dem Thema zu befassen, sind wir vorbereitet.

„Wir glauben daran, dass wir mit unseren Lösungen die Souveränität des Staates, der Länder und Kommunen fördern werden.“

Toni: Und warum sollte das System besser sein als andere?

Dietmar: Technisch gibt es sicher Besonderheiten, aber das ist nicht der Punkt. Wir sind langfristig ausgerichtet und glauben daran, mit unseren Lösungen die Souveränität des Staates, der Länder und Kommunen zu fördern. Das bedeutet, dass wir eine Lösung anbieten, die praxisnah entwickelt wird und von den Auftraggebern souverän weiterentwickelt, gepflegt und betrieben werden kann.

Erst wenn die Sachbearbeiter aus der Verwaltung ohne Informatik-Knowhow ihre Anwendungen selbst bauen können, dann sind sie wirklich souverän. Wenn sie weder von uns noch von anderen IT-Dienstleistern abhängig sind und die Fachlichkeit selbst in die Hand nehmen können, dann sprechen wir von Souveränität. End zu End Digitalisierung ist nur möglich, wenn wirklich sämtliche fachlichen Aspekte und auch die Regeln definiert sind. Wenn nur ein paar Prozent fehlen, stockt der Prozess.

Toni: Was machen wir als IT-Dienstleister, wenn unsere Kunden ihre Anwendungen selbst bauen können?

Dietmar: Wir sind innovativ. Uns wird schon was Sinnvolles einfallen. (lacht)

Toni: Und wenn sich niemand für die Lösung interessiert?

Dietmar: Dann haben wir wohl die coolste Open-Source-Plattform im eGovernment-Bereich, die Deutschland je gesehen hat. Entwickler, Start-ups, Kommunen und Versorger könnten dann die Plattform nutzen und weiterentwickeln. Open Source, Open Data, Open … das ist die Basis für nachhaltiges Handeln – da beginnt tatsächlich die Souveränität, von der wir alle sprechen.

Toni: Und was kommt danach?

Dietmar: Dann sprechen wir über ein souveränes Europa.