Artikel-Serie “Agile IT-Strategieentwicklung”

Die zukünftige IT-Strategie ist agil! Warum Sie Ihre IT-Strategie ändern sollten, welche Anforderungen es an den Entwicklungsprozess Ihrer Strategie gibt, welche Stakeholder involviert werden sollten und mit welchen Methoden Sie die richtigen Schwerpunkte aufnehmen, erläutern unsere Experten in der Artikel-Serie “Agile IT-Strategieentwicklung”:

 

Die Strategieentwicklung in Organisationen und Unternehmen war lange Zeit – und ist es teilweise noch – geprägt durch traditionelle Vorgehensweisen. Diese machten in der Vergangenheit auch durchaus Sinn, denn die angewandten Methoden waren durchaus erfolgreich. Die Welt, in der solche „klassischen“ Methoden erfolgreich sind, existiert aber so nicht mehr: Die Welt ist heute vernetzter als noch vor 20 Jahren, die Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft steigen trotz immer mehr Informationen. Die zur Verfügung stehenden Datenmengen explodieren und gleichzeitig dreht sich die Welt um ein Vielfaches schneller. Disruptive Geschäftsmodelle werden in einer Geschwindigkeit aus dem Boden gestampft, die früher undenkbar war. Innovationen und neue Produkte erreichen Konsumenten schneller als je zuvor.

Unternehmenslenker sehen sich Herausforderungen gegenüber, die mit dem klassischen Strategieansatz kaum noch zu beantworten sind. Die bisherigen strategischen Programme sind auf Zeiträume von bis zu 5 Jahren ausgelegt. In dieser Zeit sind heutige Produkte und Mitwerber direkt schon wieder vom Markt verschwunden und lediglich als Idee vorhandene neue Produkte von Konkurrenten werden als serienreife Innovation am Markt eingeführt. Die Herausforderungen sind für ein Unternehmen nicht weniger kompliziert als früher, jedoch gleichzeitig komplexer und vielschichtiger, sodass ein erhöhtes Komplexitätsbewusstsein im Unternehmen erforderlich wird. Warum die Entwicklung der IT-Strategie aus unserer Sicht einem agilen Vorgehen folgen sollte und welche Erfolgsfaktoren und Anforderungen sich daraus ergeben, haben wir bereits im vorherigen Artikel der Serie beschrieben.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer in den Prozess der Strategiefindung miteinbezogen werden sollte und wie diese umgesetzt werden kann. Für die Beantwortung dieser Fragen ist es wichtig, einen Blick auf die klassische Strategieentwicklung zu werfen, bevor dargestellt wird, welche Änderungen Unternehmen vorantreiben müssen, damit der Strategieprozess mit den rasanten Veränderungen der Geschäftsumwelt Schritt halten kann. Wir schauen uns dafür kurz das klassische Vorgehen an, das so oder ähnlich in vielen Unternehmen der Garant für Erfolg war.

Der klassische Strategieprozess als Erfolgsgarant?

In den meisten Unternehmen kommt dem Chief Executive Officer (CEO) die Rolle des Chefstrategen zu. Gemeinsam mit der oberen Führungsebene trifft er die Entscheidungen über die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Man könnte sagen, dass der Kreis der Akteure relativ klar abgesteckt und auf das Unternehmen beschränkt ist. Der Grad der Beteiligung von weiteren Führungskräften hängt von der Größe des Unternehmens und von Faktoren wie der globalen Aufstellung, Produktlinien und Ähnlichem ab. Erfahrungsgemäß weisen solche Strategieteams eine eher homogene Struktur der Teilnehmer auf. Daraus ergeben sich eher kleine Gruppen, die konzentrierte Entscheidungsprozesse ermöglichen. Größere Gruppen laufen unserer Erfahrung nach Gefahr, länger für die Entscheidungsfindung zu brauchen, insbesondere, wenn sie sich klassisch organisieren (dazu nachfolgend mehr). In so einem Strategieprozess mangelt es außerdem oft an der Transparenz der Entscheidungen, was – so unsere Beobachtungen – zu Blockaden führen kann: Top-down Entscheidungen führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Ablehnung im Unternehmen.

Ein Paradigmenwechsel in der Organisation ist notwendig

Die agile Strategieentwicklung fordert einen Paradigmenwechsel der Organisation und des Kreises der Beteiligten am Prozess:

Die sich aus kürzeren Planungszyklen ergebende Notwendigkeit agiler Strategie- und Planungsprozesse wird aus unserer Sicht zu einem Wandel der Rolle des CEO vom Initiator hin zum Gestalter seines Unternehmens führen müssen, damit disruptive, kreative und auch implementierungsfähige Strategien gebildet werden können. Dem Top-Management und damit dem CIO für die IT kommt die Aufgabe zu, die übergeordneten Rahmenbedingungen festzulegen, innerhalb derer sich die beteiligten Akteure in Gruppen bewegen, sodass strategische Initiativen ohne direkte Vorgaben der Unternehmensleitung entstehen können.

Eine bisher verfolgte „closed shop“-Mentalität  im Strategieprozess muss einer Öffnung der Unternehmensstrukturen weichen und die Co-Creation mit Kunden und strategischen Partnern in den Fokus rücken. In der Praxis konnte festgestellt werden, dass insbesondere die Einbindung von Schlüsselkunden in den Strategieprozess zum maßgeblichen Treiber und Erfolgsfaktor einer zunehmenden Kundenorientierung wird.

Agile Strategieentwicklung fordert – wie in unserem zweiten Artikel der Artikel-Serie beschrieben – u. a. ein Mehr an Transparenz und Mitbestimmung. Dies muss unweigerlich zu einem größeren Kreis von Teilnehmern wie Mitarbeitern und Kunden sowie einer Erhöhung des Beteiligungsgrades führen. Unternehmen müssen dabei einen erhöhten Wissenstransfer und Perspektivwechsel durch multidisziplinäre Teams nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern und die Leistungsfähigkeit des Teams über die Einzelner stellen. In der Praxis sehen wir, dass Unternehmen multidisziplinäre Teams als virtuelle Teams organisieren, die über unterschiedliche Standorte hinweg zusammenarbeiten.

Die Herausforderungen aus einer derartigen Erweiterung des Teilnehmerkreises und der Organisation dieser Teams sind nicht zu unterschätzen.

Je mehr Menschen beteiligt sind, desto diverser werden Meinungen und individuelle Anforderungen. Bei unseren Kunden beobachten wir in der Praxis Strategieteams, die dadurch völlig ausgebremst werden. Grund dafür sind fehlende Regeln und Vereinbarungen für die Zusammenarbeit in größeren Teams. Diversität – die ja gewünscht ist – führt zu dysfunktionalen Teams, wenn es kein gemeinsames Verständnis und kein Grundvertrauen für die Zusammenarbeit gibt. Wir empfehlen daher, in gezielten Teamaufbau und klassisches Teambuilding zu investieren. Diese Aufgabe obliegt den Führungskräften, die sich mehr und mehr auf die Orchestrierung der Unternehmenskultur konzentrieren müssen.

Anforderungen an einen agilen Strategieprozess

Agile Strategieentwicklung führt auch zu einem Überarbeiten des Strategieprozesses. Traditionellerweise werden strategische Initiativen v. a. durch das Top-Management gestartet. Der anschließende Strategieprozess folgt dann einer Top-down-Logik. Bottom-up-Initiativen werden zukünftig jedoch zunehmend an Bedeutung gewinnen, da mehr Transparenz und Mitbestimmung auf der einen sowie Agilität und Offenheit auf der anderen Seite gefordert werden. Strategische Initiativen können von überall aus gestartet werden – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens. Folglich ist die Top-down- bzw. Bottom-up-Planungsrichtung um eine „laterale“ Richtung zu ergänzen. Vom Top-Management werden dabei auch in Zukunft die großen strategischen Initiativen zur Gesamtausrichtung des Unternehmens geprägt werden. Die Forderungen der Digitalisierung nach einer erhöhten Geschwindigkeit des Strategieprozesses und dessen Phasen werden Auslöser für strategische Initiativen sein (müssen), die einerseits innerhalb des Unternehmens und andererseits durch die Einbeziehung von vor- oder nachgelagerten Beteiligten wie Lieferanten oder Kunden gelöst werden müssen. Unternehmen werden sich vermehrt mit Ihrer Umwelt vernetzen müssen, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Für den CIO bedeutet das, strategisch wichtige Lieferanten für IT Services aktiv einzubinden, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und an den strategischen Lösungen gemeinsam zu arbeiten. Strategische Partnerschaften müssen dabei für alle Beteiligten von Vorteil sein, und letztendlich sind auch die Lieferanten aufgefordert, ihren Strategieprozess entsprechend zu öffnen.

Dem Top-Management obliegt (auch weiterhin) die Aufgabe, Ziele top-down festzulegen und zu kommunizieren! Das Eingeständnis, dass man nicht weiß, wie die Ziele erreicht werden sollen, ist verknüpft mit der Zusage, Bottom-up-Initiativen zu unterstützen. Bedingung für diesen Ansatz ist eine sehr klare Kommunikation des Vorgehens an sich und der übergeordneten Ziele. Dabei wird bewusst auf die Kreativität der Mitarbeiter und auf Masse an Initiativen gesetzt, auch in dem Wissen, dass viele Initiativen vermutlich scheitern werden.

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Wirkliche Fehlerkultur und Konsent statt Konsens

Die Unplanbarkeit der VUCA-Umwelt wird unweigerlich zu einem Abrücken von einer rein analytischen Arbeitsweise hin zu mehr Experimenten führen. Die Forderung nach Agilität bringt eine eher intuitive Arbeitsweise mit sich, bei der inkrementell vorgegangen wird. Die so erzielten Lerneffekte beeinflussen darüber hinaus das organisationale Lernen positiv. Experimente führen sicher zu Fehlern. Eine gelebte Fehlerkultur, d. h., dass der Fokus auf „Was wurde gelernt?“ und nicht „Wer hat Schuld an dem Schaden?“ liegt, ist die notwendige Grundlage für die Förderung von Experimentierfreudigkeit.

Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidungsfindung u. a. durch die gesteigerte Beteiligung und die erhöhte Transparenz bei Informationen beeinflusst wird. Dabei ist zu betrachten, welcher Grad an Konsens zwischen den Beteiligten als sinnvoll angesehen wird. Hierfür sind 2 Dimensionen zu berücksichtigen: zum einen der Konsens innerhalb des Strategieteams bei der Strategieentwicklung und zum anderem der Konsens zwischen dem Unternehmen und der Sinnhaftigkeit der strategischen Entscheidung. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Konsensbildung durch den zunehmenden Einsatz von multidisziplinären Teams erschweren wird, da Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden und damit der zeitliche Aufwand steigt. Eine agilere Variante ist der Konsent: Hier werden ebenfalls die unterschiedlichen Standpunkte aufgenommen, es werden jedoch nur schwerwiegende Einwände bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Bedenken, die geäußert werden, lässt man zu und gibt diesen Raum, aber sie halten eine Entscheidung nicht auf. Im Konsent gilt eine Entscheidung als getroffen, wenn es keine (begründeten) schwerwiegenden Einwände mehr gibt. Tragfähige Entscheidungen können so schneller getroffen werden, was die Implementierungsgeschwindigkeit erhöht.

Demokratisierung und Mitbestimmung im Strategieprozess

Eine zunehmende Anzahl an Beteiligten am Strategieprozess führt automatisch zu mehr Demokratisierung und der Durchsetzung nach Mitbestimmung, denn strategische Entscheidungen über die Köpfe von Stakeholdern hinweg führen zu einer abnehmenden Akzeptanz. Das Unternehmen sollte Informationen zur strategischen Ausrichtung und zu Beweggründen schnellstmöglich in der Organisation kommunizieren, wobei vertrauliche und sensible Unternehmensdaten selbstverständlich weiterhin geschützt werden müssen.

Um der Forderung nach Transparenz und Mitbestimmung gerecht zu werden, empfehlen wir einen stärkeren Einzug von Demokratie in strategische Prozesse, was zwar die Konsensfindung erschwert, aber zu einer erhöhten Akzeptanz im Unternehmen und damit zu einer erhöhten Implementierungsgeschwindigkeit führt. Damit einhergehend wird die Führungsaufgabe des Managements sich von der klassischen „Command and Control“-Rolle hin zu mehr „Enabling and Empowerment“ entwickeln. Das Management muss eine klare Vorstellung davon haben, inwieweit es Entscheidungen delegiert, wie stark es noch in Entscheidungen eingebunden sein muss und welcher Beteiligungsgrad von Mitarbeitern sowie Kunden und Lieferanten für die eigene Organisation sinnvoll ist.

In diesem Artikel haben wir Ihnen beschrieben, wie sich das Strategieteam eines agilen IT-Strategieprozesses bestenfalls zusammensetzt und welche Herausforderungen daraus für den Prozess entstehen können. Durch unsere Kundenerfahrungen konnten wir Ihnen ein paar konkrete Handlungsempfehlungen aufzeigen, die Ihnen als Führungskraft dabei helfen werden, als die passenden Teams und Themen zu orchestrieren.

Fachartikel “Agile Strategieentwicklung in der Unternehmenspraxis”

Autoren: Antje von Garrel, Alexander Pesch, Benedikt Jost, Olaf Terhorst (alle mgm consulting partners)

Das Buch beleuchtet ausgehend von einem Überblick zu Strategie und strategischem Management Herausforderungen aus
Praxissicht. Dazu werden verschiedene Business Cases aus der Unternehmenspraxis dargestellt. zentrale Erfolgsfaktoren für die Strategieformulierung und das strategisch nachhaltige Management analysiert.

 

 

Quelle Titelbild: Michael Parzuchowski